Alleine auf Tromsø
Im Dezember saß ich alleine auf meinem Sofa, spielte am Handy, und nebenbei lief irgendetwas im TV. Kein besonderer Abend. Mit einem Ohr hörte ich eine Berichterstattung über Tromsø, die meine Aufmerksamkeit erregte. Ich schaute mir die tollen Bilder an und buchte aus einer Laune heraus kurzerhand einen Flug für Anfang Januar – sieben Tage Tromsø. Urlaub hatte ich noch nicht eingereicht, Unterkünfte wollte ich zu einem anderen Zeitpunkt raussuchen, und auch sonst wusste ich nur, dass es nach Norwegen gehen würde. Aber was kostet die Welt?
Eine ganze Menge, wie ich feststellen musste, als ich nach Unterkünften suchte. Das einzige Hostel war zu der Zeit geschlossen, Privatunterkünfte und Hotels kratzten alle an der 200-Euro-pro-Nacht-Marke. Puh! Ich hatte Glück: Am westlichen Ende der Insel gab es ein kleines Hotel, etwa drei Kilometer vom Zentrum der gleichnamigen Kleinstadt entfernt. Leider scheint das Hotel der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen zu sein. 2019 bot es allerdings einfachen, aber guten Komfort.
Anreise aus Deutschland
Der Flug schien wenig spektakulär: Von Frankfurt am Main nach Oslo, von Oslo nach Tromsø. Gepäck sollte typischerweise durchgereicht werden – wie auch sonst? Die Umsteigezeit betrug gerade mal 50 Minuten. Wir starteten mit 20 Minuten Verspätung. Es würde eng werden. Aber wie groß kann der Flughafen schon sein? Nicht besonders groß, wie ich feststellte. Zügig machte ich mich auf den Weg zu meinem nächsten Gate. An der entsprechenden Schleuse scannte ich mein Flugticket und – nichts passierte. Mir wurde der Durchgang versperrt. Schlagartig stellte sich eine gewisse Unruhe ein. An der Information erfuhr ich, dass ich zunächst mein Gepäck holen, aus dem Sicherheitsbereich raus, das Gepäck neu einchecken, wieder durch die Sicherheitskontrolle und dann zum Gate gelangen musste. Und das innerhalb von 30 Minuten.
Mein Sprint zum Gepäckband brachte mir leider keine Zeitersparnis, denn das Band drehte sich noch nicht einmal. Für mich beruhigend: Den meisten anderen Fluggästen ging es ähnlich. Nach vielem Herumfragen wurden anschließend Sonderbereiche für uns geöffnet. So schafften es wirklich alle, innerhalb von 30 Minuten im nächsten Flieger zu sitzen. Jetzt hatte ich mir den Urlaub aber wirklich verdient.
Ankunft in Tromsø
Wie zu erwarten, handelte es sich um einen kleinen Flughafen. Ich holte mein Gepäck – heute würde ich diese Reise auch nur noch mit Handgepäck machen – und sprang in das einzige Taxi, das vor dem Eingang stand, und ließ mich zum Hotel fahren.
Zu meiner Unterhaltung hatte ich ein paar Aktivitäten vorgebucht. Zu dieser Jahreszeit natürlich eine "Nordlichter-Jagd", Whale-Watching, und für einen Tag wollte ich mit einem Auto die Gegend erkunden. Aber zunächst war ich gespannt, wie das kleine Städtchen Tromsø aussieht. Außerdem hatte ich Hunger. Die wenigen Kilometer bis ins Zentrum wollte ich zu Fuß gehen. Allerdings musste ich feststellen, dass man mit etwa einem Meter hohem Schnee etwas länger braucht, als Google Maps einen glauben macht.
Der Ort hat besonders zu dieser Jahreszeit etwas Magisches. Es ist ohnehin den ganzen Tag dunkel, aber der helle Schnee macht es erträglich und gibt dem Ganzen einen besonderen Charme. Aber zuerst wollte ich etwas essen. Direkt am Meer bot sich Fisch an – darauf hatte ich mich seit Wochen gefreut. Also lief ich zielstrebig zum nächsten Fischrestaurant und schaute mir begeistert die ausgehangene Karte an. Allerdings wich meine Begeisterung etwas, nachdem ich die Preise entdeckte. Ein Hauptgang nicht unter 50 Euro, ein kleines Bier circa 10 Euro. Ich suchte mir etwas anderes. Es wurde schließlich Rentiergulasch. Zwar etwas günstiger, aber zusammen mit einem Bier trotzdem an die 50 Euro. Das hatte ich so nicht geplant. Die folgenden Tage habe ich mich regelmäßig bei Fast-Food-Ketten und mit Einkäufen in meinem kleinen Hotelzimmer wiedergefunden.
Ich hatte von skandinavischen Preisen gehört, aber darauf war ich nicht vorbereitet. Doch wir Reisenden lassen uns nicht so leicht aus der Ruhe bringen – ist es nicht so?
Seilbahn Fjellheisen
Gestärkt vom Frühstück (das zum Glück im Zimmerpreis enthalten war) und ausgeschlafen machte ich mich am nächsten Tag auf Erkundungstour. Wobei man sagen muss, dass der Unterschied zwischen Tag und Nacht zu dieser Jahreszeit kaum bemerkbar ist.
Über eine Brücke nördlich der Stadt Tromsø gelangt man auf die gegenüberliegende Seite zur Seilbahn Fjellheisen, die einen zu einem Aussichtspunkt bringt. Dieser Ausblick verschlägt einem die Sprache: Die Lichter der kleinen Insel, bedeckt von Schnee und eingehüllt im Mondschein der Nacht am Tage. Der Wind pfeift einem den Schnee ins Gesicht, die Finger und Füße werden kalt, aber im Restaurant am oberen Ende der Seilbahn kann man sich bei einer heißen Schokolade mit Blick auf Tromsø aufwärmen und den Moment genießen.
Ich war müde an diesem Tag. Die Dunkelheit machte mir doch mehr zu schaffen, als ich gedacht hätte, und nach über 20 Kilometern zu Fuß durch den Schnee wollte ich nur noch auf mein Zimmer und mich aufwärmen. Außerdem sollte es am nächsten Tag zum Whale-Watching gehen.
Whale-Watching
Womit ich nicht gerechnet hatte: dass ich am Ende über zwei Stunden einfache Busfahrt vor mir haben würde. Ich war davon ausgegangen, dass ich lediglich zu einem Anlegepunkt auf der Insel Tromsø gebracht würde. Aber es stellte sich heraus, dass die Wale andere Pläne hatten. So fuhren wir mit mehreren Fähren zu einem Punkt, der so kalt war, wie ich es noch nie erlebt hatte: minus 15 Grad Celsius. Ich war warm angezogen, aber das war eine Dimension, auf die ich nicht vorbereitet war.
Und jetzt sollten wir mit einem Speedboot auf das offene Meer fahren? Ich hatte Zweifel. Zum Glück wissen die Veranstalter, dass Touristen wie ich dabei sind. Für alle gab es eine den Wetterverhältnissen angepasste Ausrüstung. Damit würde ich vermutlich überleben.
Auf dem Boot wich jegliches Kälteempfinden der Aufregung. Was würden wir sehen? Sehen wir überhaupt etwas? Wie so oft waren wir nicht die Einzigen, die mit einem Boot auf die Suche nach Walen aufgebrochen waren. Zu meinem Glück hatte ich die exklusivere Tour gebucht. Alle anderen waren auf großen Booten mit mindestens 50 Personen unterwegs – für mich der Horror. Außerdem brauchten diese Boote viel länger, um an einen möglichen Sichtungspunkt zu gelangen.
Und so kam es zu unserer ersten Sichtung. Wir kamen an einem Punkt an, den der Kapitän ausgemacht hatte, während er mit seinem Funkgerät andere Schiffe informierte. Der Motor ging aus, und eine unvergleichliche Stille legte sich über den Moment, die mit einem Mal durch ein kräftiges Schnaufen durchbrochen wurde. Ein Orca-Wal tauchte aus dem schwarzen Meer auf und machte auf sich aufmerksam. Wie faszinierend! Aber kaum so lange, dass man die Chance hatte, sie zu fotografieren, verschwanden diese Tiere wieder in den Tiefen der Dunkelheit. Nur um wenig später von einem größeren Meeresbewohner, dem Buckelwal, abgelöst zu werden.
Es ist faszinierend, wie elegant und leicht sich diese riesigen Geschöpfe im Wasser bewegen können. Mir fehlen die Worte, diesen Moment so zu beschreiben, wie er sich angefühlt hat. Dieses Erlebnis ist eine klare Empfehlung und macht die insgesamt fünf Stunden Busfahrt wieder wett.
Die Jagd nach den Polarlichtern
Den nächsten Tag hatte ich ruhig angehen lassen. Es würde ein langer werden. Die Nacht sollte zur geführten Jagd nach Polarlichtern genutzt werden. Also schlief ich viel und erkundete die stille Gegend um mein Hotel.
Am Abend machte ich mich wieder auf den Weg ins Stadtzentrum. An einem kleinen Shop sollte der Treffpunkt sein. Auch hier bekamen alle Teilnehmenden eine Winterausrüstung. Ich fragte mich: Wofür?
Nachdem wir mit einem Kleinbus eine kurze Strecke in die Dunkelheit gefahren waren, verstand ich, warum. Der restliche Weg war zu Fuß zu bewältigen. Als ich meinen ersten Schritt abseits der Straße machte, versank ich bis zur Brust im Schnee – zur Belustigung aller. Gut, dass ich entsprechend angezogen war. Hintereinander in einer Reihe machten wir uns mit Stirnlampen durch die Dunkelheit auf den Weg. Allen voran der Guide, der uns nach kurzer Zeit erklärte, dass wir mitten auf einem See stünden. Eine Eisschicht, bedeckt von Schnee. Gespenstisch. Mein Leben lag nun in der Hand eines Fremden, der eher aussah wie ein Obdachloser als wie ein Touristenführer. Aber gut. Jetzt stand ich ja auf dem See, und ein Zurück war sowieso nicht möglich.
An unserem Zielpunkt angekommen, buddelten wir ein großes Loch in den Schnee und machten kleine Stufen daneben. Darüber legte der Guide ein paar Rentierfelle, damit wir uns daraufsetzen konnten. In der Mitte wurde ein Feuer gemacht. Super schön. Aber deshalb war ich nicht hier. Ich wollte doch die Nordlichter sehen. Von einem mitreisenden Pärchen erfuhr ich, dass an dem Abend, an dem ich mit der Seilbahn auf dem Aussichtspunkt war, etwa 20 Minuten nach meiner Abreise Polarlichter zu sehen gewesen waren. Da hätte ich mir ja das Geld sparen können, dachte ich mir. Aber immerhin hatten die Veranstalter Marshmallows und Würstchen sowie eine gute Kameraausrüstung dabei.
Um die Zeit zu überbrücken, wurden Fotos von uns in der Nacht gemacht. Die Veranstalter wussten genau, wie sie uns und das mitgebrachte Licht in Szene setzen mussten. Auch wenn es stockfinster war, sahen die Fotos so aus, als wäre es taghell gewesen. Das war spaßig, aber immer noch nicht das, weshalb ich hier war und wofür ich bezahlt hatte.
An diesem Tag hatte das Wetter aber andere Pläne. Der Himmel zog sich von Minute zu Minute mehr zu. Nach einiger Zeit mussten wir einsehen, dass wir heute keine Polarlichter mehr sehen würden. Wie ärgerlich. Ein Pärchen erklärte am Feuer, dass dies ihre Hochzeitsreise sei und sie extra aus Dubai gekommen seien, um die Lichter zu sehen. Morgen würden sie abreisen. DAS nenne ich ärgerlich. Da kam mir mein Pech gleich etwas kleiner vor. Ich versuche mich auch über solche Sachen nicht zu sehr zu ärgern. Immerhin ist das ein Risiko, das man kalkulieren muss. Das Wetter hält sich nicht an meine Pläne. Aber ich hatte noch ein paar Tage. Vielleicht würde ich Glück haben.
Nicht mehr zu Fuß, sondern mit dem Auto
Nach den Tagen auf der Insel freute ich mich sehr auf das Auto. Denn langsam gingen mir die Ideen aus, was ich hier noch machen sollte. Gefühlt kannte ich schon jede Schneeflocke.
Mir war aber auch ein bisschen mulmig, denn bei diesen Witterungsverhältnissen ist es in Norwegen üblich, dass der Schnee nicht mehr vollständig geräumt wird. Hin und wieder wird der Schnee von der Straße geschoben. Zurück bleibt eine Eis-Schnee-Schicht. Und auf dieser sollte ich ein fremdes Auto bewegen. Ich wollte tunlichst vermeiden, meine Reisekasse durch einen Unfall unnötig zu belasten. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Also machte ich mich zur Autovermietung und nahm meinen Passat entgegen.
Los ging es. Aber wohin? Keine Ahnung. Ich hatte das Auto 24 Stunden, also fuhr ich einfach mal los. Ernüchternd. Wohin ich auch fuhr: weiß, weiß, weiß. Die Seitenstraßen waren gesperrt, und die Hauptstraßen sahen alle gleich aus. Nach etwa fünf Stunden fuhr ich zurück Richtung Hotel. Ich hätte mich wohl besser vorbereiten sollen. Alles Erkenntnisse, die mir meine Reisen heute einfacher machen. Aber zu dem Zeitpunkt war es sehr deprimierend. Im Gegensatz zu Hostels lerne ich in Hotels selten neue Leute kennen. Die Kombination aus Kälte, Dunkelheit und Einsamkeit kann dann schon zusetzen.
Aber ich wollte mich nicht unterkriegen lassen und nutzte das Auto, um noch ein paar Sachen einzukaufen und es mir den restlichen Abend in meinem Zimmer gemütlich zu machen.
Abreise
Sieben Tage können für so eine kleine Insel sehr lang werden, aber ich habe jeden genossen. Auch die kleinen Downs zwischendurch. Meine Mission war es, Nordlichter zu sehen. Leider habe ich dieses Ziel nicht erreicht. Aber ich bedauere es nicht, denn das gibt mir einen weiteren Grund, nochmals zu dieser Jahreszeit in den hohen Norden zu reisen.
Auf der Rückreise hatte ich noch weniger Umsteigezeit, nämlich 40 Minuten. Aber man versicherte mir, dass das Gepäck diesmal bis Frankfurt ohne mein Zutun durchkommen würde. Doch nun zeigte sich ein anderes Problem: Wir hatten 35 Minuten Verspätung. Am Flughafen legte ich einen beispiellosen Sprint zu meinem Terminal hin. Ich sprang über herumliegende Koffer, umschiffte kleine Kinder und lief den Slalom meines Lebens. Am Gate angekommen, wurde ich mit misstrauischen Blicken aller Fluggäste gemustert, während ich versuchte, wieder Luft zu bekommen. Warum standen hier alle? Sollten die Menschen nicht schon im Flieger sitzen? War meine Maschine schon weg? Wie sich herausstellte, standen die Piloten in Oslo im Stau. Mein Anschlussflug hatte also auch Verspätung.
Der Rest der Rückreise verlief dann reibungslos. Zuhause angekommen, war ich zwar ohne Nordlichter, aber trotzdem mit tollen Erinnerungen. Ich erzähle heute noch gerne von dieser Woche und bin mir sicher, dass ich zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen werde.